Das
Bundesverfassungsgericht hat gestern entschieden, dass das
Sondergremium des Bundestags zur
parlamentarischen Kontrolle des Euro-Rettungsschirms EFSF
größtenteils gegen die Verfassung verstößt. In einem heute
morgen ausgestrahlten Interview des Deutschlandfunk mit
Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse zog dieser daraus u.a. den
Schluss, dass sich angesichts der zunehmenden Geschwindigkeit
ökonomischer Prozesse, die demokratischen Institutionen
dahingehend verändern müssten, mit dieser Beschleunigung
Schritt zu halten, weil sonst, nach Meinung Thierses, die Demokratie
insgesamt gefährdet wäre. Zitat:
„Wir erleben ja etwas
durchaus hoch Problematisches, was auch für die Demokratie insgesamt gefährlich
ist: nämlich die Dominanz, die Vorherrschaft der Finanzmärkte, der Ökonomie.
Und gelegentlich entsteht der Eindruck, dass Politik, demokratische Politik,
die ihrer inneren Natur nach immer langsam ist, weil sie eben schwierige
Entscheidungsprozesse gestalten muss, möglichst viele sich daran beteiligen
sollen, wir erleben, dass die Politik hinterherhinkt, schmerzlindernde Mittel,
Trostpflaster verteilen kann. Das ist eine Problematik, die ich für dramatisch
halte für unsere Demokratie und die ja auch dazu führt, dass immer mehr
Menschen kritisch gegenüber der Demokratie stehen. Ich glaube, man muss das
schon beschreiben als eine Demokratiekrise, die zunehmende Diskrepanz zwischen
dem Tempo und der Reichweite ökonomischer Prozesse und Entscheidungen
einerseits und der Begrenztheit und Langsamkeit, notwendigen Langsamkeit
demokratisch-politischer Prozesse und Entscheidungen andererseits, und auf
diese Diskrepanz haben wir noch nicht die angemessenen institutionellen
Antworten. Die Richtung, in der wir Politik,
ihre Institutionen reformieren müssen, damit sie wieder in die Nähe des Tempos
und der Reichweite ökonomischer Prozesse und Entscheidungen kommt, die Richtung
heißt Europa, Demokratisierung europäischer Entscheidungen, und da müssen
die nationalen Parlamente mitwirken und da müssen vielleicht die nationalen
Parlamente sogar auch Europa treiben.“[1]
Einmal kurz durchatmen. Während also weltweit
Hunderttausende auf die Straßen gehen bzw. dies zum Frühjahr wieder planen, um
die Politik zu bewegen, ihren Primat gegen die reale wie gefühlte Macht der
global agierenden finzanzökonomischen Player durchzusetzen, plädiert der
Sozialdemokrat und Katholik Wolle Thierse dafür, dass sich die Politik dem
Tempodiktat dieser Player, wenn nicht unterwirft, so doch wenigstens anpasst. Während
sich also in Griechenland Regierung und Parteien unter dem Druck des
Finanzkapitals und seiner unter dem Label „Troika“ agierenden Exekutoren notgedrungen
von aktiver Politikgestaltung verabschieden müssen, meint der ehemalige
Revolutionär und Bürgerrechtler Wolle Thierse, die demokratischen Institutionen
der Bundesrepublik sollten dahingehend reformiert werden, dass sie
Entscheidungen ebenso schnell und hektisch treffen könnten, wie die Akteure an
den internationalen Märkten.
Nun hat seit 2008 nicht nur die Politik
oft vollmundig davon gesprochen, dass es darum ginge, die Macht der
Finanzmärkte einzuschränken. Dem Casino-Kapitalismus wurde gar der Krieg
erklärt. Doch wie wir wissen, ist bis heute nichts dergleichen geschehen. Stattdessen
klagt Politik in Person des Bundestagsvizepräsidenten immer noch über „die Dominanz, die Vorherrschaft der Finanzmärkte, der Ökonomie“.
Und das, wo doch selbst Thierses
oberster Kirchenvorstand bereits Vorschläge für eine neue Weltfinanzordnung
publiziert hat.[2] Thierses
Rezept: Verlagerung der Entscheidungsprozesse nach Europa, wo sie angeblich
schneller verlaufen könnten, natürlich, natürlich unter Voraussetzung ihrer
Demokratisierung. Es wäre ja durchaus interessant zu erfahren, wie er sich das vorstellt.
Vielleicht sollte er einfach mal mit seinem ehemaligen Mitrevolutionär und
nun freiheitsliebenden Bundepräsidentenkandidaten Joachim Gauck reden, der hat da sicher ganz konkrete Vorstellungen. Dann braucht es auch weder Attac noch Occupy, und Wolfgang Thierse
müsste am frühen Morgen nicht solche unausgegorenen öffentlichen Statements abgeben.
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