Kein
Waffentyp, mit Ausnahme vielleicht der vermeintlichen
nordkoreanischen und iranischen Atomwaffen, wird gegenwärtig so
umfassend diskutiert wie die Drohnen. Die Amerikaner nutzen
bewaffnete Kampfdrohnen im Anti-Terror-Kampf zur Eliminierung
wirklicher oder auch nur vorgeblicher Terroristen, die Israelis
setzen Drohnen gegen die Palästinenser ein, und
Bundesoberverteidiger de Maizière hätte gern welche im Arsenal seiner
Truppe, ohne allerdings genau angeben zu können, zu welchem
Zweck. Nicht zuletzt auch das jüngst bekannt gewordene
Euro-Hawk-Debakel
mit geschätztem Schaden oberhalb einer halben Milliarde Euro hält
das Thema medial am Köcheln.
Kampfdrohnen
sind ferngesteuerte, mit Raketen oder Bomben bestückte Flugkörper.
Daneben sind auch unbewaffnete Aufklärungsdrohnen in Verwendung. Der
Begriff Drohne ist dabei etwas irreführend, denn ursprünglich wird
bekanntlich die männliche Honigbiene so benannt, die sich
dadurch auszeichnet, dass sie nach an der Bienenkönigin getaner
Kopulationsarbeit stirbt. Die Drohnen einiger Wespenarten (u.a.
Hornissen) machen sich zwar nicht umgehend zu Tode, i.d.R. jedoch ist
der Insektendrohne ein kurzes Einzweck-Dasein beschieden.
Nebenbei, dass das männliche Exemplar verschiedener
Insektengattungen grammatikalisch weiblich als „die Drohne“
bezeichnet wird, zeigt ironischerweise, wie auch in Bezug auf Fauna und Flora die Geschlechterverhältnisse im Sprachgebrauch als Spiegelbild von
Herrschaftsverhältnissen erscheinen. Aber zurück zur militärischen Drohne. Diese ist hingegen nicht als Einmalwaffe konzipiert - das sind eher die
Marschflugkörper, sondern genauso wie ein bemanntes Luftfahrzeug zur
Mehrfachverwendung. Aber egal, die Dinger heißen nun mal
Drohnen, und wie stets in solchen Fällen gilt Wittgensteins,
von mir gern zitiertes Diktum: „Die Bedeutung eines Wortes ist
sein Gebrauch in der Sprache.“
Die
Zweckbestimmung der Kampfdrohnen besteht in der zielgenauen
Eliminierung von Einzelpersonen bzw., wie die Amerikaner sagen,
Individuals. Die Drohne ist also Ersatz für das bislang übliche
Einsatzkommando. Steuerung, Identifikation der Zielperson und
Waffeneinsatz erfolgen weitab vom Einsatzziel durch Soldaten an
Computern in irgendwelchen Kontrollräumen. Marc Lindemann
schreibt: „Bewaffnete Drohnen sind eine Antwort auf den heutigen
Krieg, der längst seine Grenzen verloren hat. Gleichzeitig
revolutionieren sie ihn, weil sie dafür gemacht sind, einzelne
Personen zu identifizieren und zu töten, ohne auch nur einen
Schritt auf das Schlachtfeld setzen zu müssen.“1
Nun
ist die Zeit gewiss nicht fern, da Drohnen nicht mehr realtime von Menschen gesteuert, sondern vorab mit Zielinformationen gefüttert
werden und so ihr Ziel autonom finden und eliminieren
können. Es ist nur eine Frage der Weiterentwicklung von
Identifikationssystemen, von Mustererkennungsalgorithmen etc., dann werden Schwärme von Drohnen über Konfliktarealen kreisen
und selbständig zuschlagen, sobald das einprogrammierte Muster
erkannt wird. Womöglich würden der Drohnensoftware auch
KI-Elemente beigefügt, so dass die Drohne während der
Einsätze Lernprozesse zur Selbstoptimierung durchlaufen und die
gesammelten Erkenntnisse an ihre Brüder weiter geben könnte.
Warum auch nicht?
Andererseits
ist es doch offenbar so, dass jede neue Waffe zur Entwicklung einer
Gegenwaffe herausfordert. Wer Machtansprüche hegt, möchte
nicht dauerhaft unterlegen sein. Da die technologischen
Kapazitäten der Zielgruppen der aktuellen Drohneneinsätze für
die Entwicklung echter Gegenwaffen nicht ausreichen dürften,
wird man auf die Klassiker zurück greifen – Tarnung, Täuschung,
Sabotage. Neben den aktuellen Zielgruppen fühlen sich aber auch die
nationalstaatlichen Militärorganisationen herausgefordert.
Russland, China, Indien und nicht zuletzt Frankreich werden mit
Sicherheit eigene Drohnen resp. Abwehrdrohnen bauen, und diese
werden selbstverständlich ihren Weg zu den Despoten, Diktatoren
und Terroristen dieser Welt finden – durch legalen
Waffenhandel oder illegale Proliferation. Das Szenario eines Kampfes
Drohne gegen Drohne liegt im Bereich des Möglichen oder gar des
Wahrscheinlichen. Willkommen im Krieg der autonomen Automaten.
Abgesehen davon, dass, weil menschliche Opfer vermieden werden
könnten, die Schwelle für bewaffnete Auseinandersetzungen damit
erheblich gesenkt und die Welt wieder in eine Spirale des Wettrüstens
einbiegen würde, stellen sich auch moralische Fragen, wie die des
amerikanischen Rechtsphilosophen Michael Walzer: „Stellen wir uns
eine Welt vor, in der jeder Drohnen besäße – würden wir darin
besser leben?“2
Die
Implikationen solcher Entwicklungen, wenn sie denn konsequent
durchgezogen würden, und deren fast unvermeidliche Absurditäten hat
Stanislaw Lem (1921-2006) in seinem 1986 erschienenen satirischen Roman „Frieden
auf Erden“3
thematisiert, der mir kürzlich in die Hände fiel und den ich, wie
mir erst nach der Lektüre und nach einem intensiven Blick ins
Bücherregal wirklich bewusst wurde, bereits 1986 gelesen hatte. Der
Roman war damals bei Volk und Welt unter dem irreführenden und
sicher der Parteizensur geschuldeten Titel „Der Flop“ erschienen.
Die Einband-Grafik der DDR-Ausgabe zeigt eine den Mond umgreifende
und sich selbst in den Schwanz beißende Echse – ein sehr
passendes Symbol für die Kernaussage des Romans.
Lem
war sicher einer der scharfsinnigsten Autoren des 20. Jahrhunderts
und vom Herrn mit der Gabe der prognostischen Prophetie in Sachen
maschineller Technologie reich gesegnet. In „Frieden auf Erden“
geht es um die ungewollten Konsequenzen eines unkontrollierten
technologischen Wettrüstens. Die Story ist schnell erzählt:
Ion Tichy,
Lems hochbegabter und humorvoller Lieblingsheld, Autor der
weltberühmten Sterntagebücher, wird nach seiner Rückkehr vom
„Lokaltermin“
von der Lunar Agency damit beauftragt, auf dem Mond
Erkenntnisse darüber zu sammeln, wozu das vor Jahrzehnten
auf den Mond verlagerte autonome technologische Wettrüsten
geführt hat. Weil nämlich die Kosten des Wettrüstens auf
Erden so exorbitant hoch geworden waren, der
militärisch-industrielle Komplex aber weiterhin auf seinen geliebten
Spielzeugen bestand, hatte man sich darauf geeinigt, jedem
interessierten Staat ein Areal auf der Mondoberfläche zuzuweisen,
auf dem er reproduktions- und entwicklungsfähige Technik
stationieren könnte, die völlig autonom Waffen und sonstiges
militärisches Gerät produziert. Es wurde vereinbart, dass
zwischen Erde und Mond keine Kommunikation stattfindet und die
Maschinen komplett sich selbst überlassen bleiben, ohne dass Menschen in irgendeiner Art eingreifen. Auf dem Mond wurde also
eine Art autonomer technologischer Evolution in Gang gesetzt,
die nun aber, wie sich zum Ende des Romans herausstellt, zu völlig
unvorhergesehenen Ergebnissen geführt hat.
Die
Handlung setzt nach der Kontrollmission Ion
Tichys auf
dem Mond ein, die er gleichsam wie ein Drohnenpilot mit Hilfe eines von ihm ferngesteuerten Avatars (sic!) absolviert hat. Sie besteht vorwiegend aus Dialogen Tichys
mit diversen Vertretern interessierter Seiten, in denen sich nach und
nach das ganze Monddesaster offenbart, und Versuchen des Helden, sich
an die Begebenheiten auf der Mondoberfläche zu erinnern, denn er war
dort auf mysteriöse Weise einer Kallotomie, d.h. einer Trennung der beiden Hirnhälften unterzogen worden, so dass
linke und rechte Hälfte nun ihr Eigenleben führen und Tichy
nur über begrenzten Zugang zu seinen Gedächtnisinhalten
verfügt. Wie stets bei Lem gibt es nebenher z.T. durchaus skurrile
wissenschaftliche und anthropologische Exkurse, wie etwa die
hinreißenden Ausführungen eines Paläobotanik betreibenden Cousins
von Professor
Tarantoga
(Auch der darf natürlich nicht fehlen.) darüber, dass die wahren
Helden der Menschheitsgeschichte diejenigen Selbstexperimentatoren
gewesen seien, die in Todesverachtung Pflanzen, Knollen, Samen oder
Pilze auf ihre Nahrungstauglichkeit geprüft hätten: „Divisionen
solcher Leute, Urbilder der Himmelfahrtskommandos, haben in
Jahrhunderten alles, aber auch alles in den Mund genommen,
angebissen, zerkaut, geschmeckt und geschluckt, was immer auch an
Zäunen und auf Bäumen wuchs, und sie taten es auf jede mögliche
Weise: roh und gekocht, mit und ohne Wasser, durchgeseiht oder
nicht, in ungezählten Kombinationen.“ Oder auch die dialogischen
Reflexionen über den Zusammenhang von Geist und Gehirn unter
Bezugnahme auf die diesbezüglichen Forschungsergebnisse von
Michael
Gazzaniga, die in den Ausruf Tichys
münden:
„Ich will nur wissen, wo mein Bewusstsein ist.“
Trotz
allem Humor und aller Ironie, die „Frieden auf Erden“ wie allen
Ion-Tichy-Geschichten eignen, wird in diesem Roman-Essay doch eine Ernst zu nehmende Botschaft vermittelt: Wenn
wir es den Maschinen überlassen, über sich selbst zu bestimmen,
werden sie dereinst über uns bestimmen.
Die autonome Evolution der militärischen Maschinerie auf dem
Mond führt in Lems Versuchsanordnung nämlich dazu, dass sich die Maschinen von
ihren einstigen Schöpfern und deren Intentionen emanzipieren und
dabei Wege beschreiten, die uns von der biologischen Evolution
her bekannt sind. Schlussendlich geht es auf dem Mond nicht darum,
dass ein Maschinenpark den anderen besiegt, wie sich das die Militärs
und Politiker wohl vorgestellt hatten, vielmehr steht die von
menschlicher Hand einmal in Gang gesetzte Evolution im Mittelpunkt.
In Anlehnung an die Theorie von Richard
Dawkins ist bei Lem nicht die Maschine das Objekt der Evolution,
sondern der Code, die Information, der es gleichgültig ist, in
welcher Maschine sie sich vererbt. Lem greift dabei u.a auf
Motive seines Romans „Der
Unbesiegbare“ von 1967 und Ideen seiner „Summa
technologiae“ von 1964 zurück.
Faktisch
handelt es sich um die gleiche Botschaft, die, wenn auch auf andere
Weise, die Terminator-Filme
vermitteln wollen: Wenn
wir den Maschinen das Kriegführen überlassen, werden sie irgendwann
den Krieg gegen uns führen.
Zwar sind die Resultate bei Lem nicht annähernd so
apokalyptisch wie in den Hollywood-Filmen, denn am Ende von „Frieden
auf Erden“ werden nur
die irdischen informationsverarbeitenden Maschinen von der Mondseuche
befallen, doch wie wir inzwischen gelernt haben, ist unsere
Abhängigkeit vom Internet so groß geworden, dass auch dessen
Ausfall zu einer weltweiten Katastrophe führen könnte.
Der
Einsatz von Kampfdrohnen öffnet ein neues Kapitel im Geschichtsbuch
der Kriegführung. Ich bin mir nicht sicher, ob diejenigen, die über
die Entwicklung, die Anschaffung und den Einsatz von Kampfdrohnen
entscheiden, die längerfristigen Folgen ihrer Handlungen wirklich
hinreichend übersehen, und ob sich am Ende nicht doch die Echse in
den Schwanz beißen könnte. Dass annähernd gleichzeitig mit dem
medialen Anschwellen der Drohnenfrage der Film „Oblivion“
in die Kinos kam, in dem Spür- und Kampfdrohnen eine gewichtige
Rolle spielen, scheint mir kein Zufall zu sein. In diesem Film sagt
der von Tom Cruise verkörperte Drohnentechniker Jack
Harper
nach
der Umprogrammierung einer vorher autonomen Drohne in eine vom
Menschen ferngesteuerte:
„Es
ist nur eine Maschine, ich bin die Waffe.“ Das kann man so oder so
interpretieren. Nach meiner Ansicht sollte auf militärische Drohnen
gänzlich verzichtet werden. Sie sollten international geächtet und
verboten werden, genauso wie Antipersonenminen, biologische oder
chemische Waffen. Gegenwärtig scheint das zumindest wegen des
Engagements der USA und Israels recht illusorisch. Auf jeden Fall
aber sollte angestrebt werden, die Entwicklung und Herstellung
automatischer,
autonomer
und homöostatischer Waffensysteme
zu verbieten. Bis dahin möchte ich hoffen, dass die politischen und
militärischen Entscheider und auch die Soldaten in den
Kontrollräumen nicht vergessen, dass sie es sind, die über die
Drohnen und deren Einsatzziele bestimmen – Sie
sind die Waffe! Diese,
nicht zuletzt moralische Verantwortung sollten sie nicht an eine
seelenlose Maschinerie delegieren.
1 Marc
Lindemann. Kann Töten erlaubt sein. Econ 2013
2 Zitiert
nach: Philosophiemagazin 04/2013, S. 12
3 Stanislaw
Lem. Frieden auf Erden. Suhrkamp 1988
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